6 Mio. € Schaden für die DRV – Verfahren nach 11 Jahren eingestellt

30.09.202083 Mal gelesen
Anklage der Staatsanwaltschaft: „Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen“ in Höhe von mehr als 6 Mio €. Fehlerhafte Rechtsanwendung führt zur Einstellung

Die Anklage der Staatsanwaltschaft lautete auf "Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen" in Höhe von mehr als 6 Mio ?. Im Raum stand eine Haftstrafe von mehreren Jahren. Nach Mandatsübernahme wurden die Berechnungen der Deutschen Rentenversicherungen und die Ermittlungen des Hauptzollamts einem Komplett-Check unterzogen. Dabei zeigten sich harsche Ermittlungsfehler und ein Fehlverständnis der grundlegenden Gesetze.

Das Resultat: Das Verfahren wurde nach mehr als 11 Jahren mit einer Geldauflage eingestellt!

Die Angeklagten waren Leiter der deutschen Niederlassung einer Bau-Gesellschaft mit Hauptsitz in der Türkei. Die Gesellschaft erbrachte für eine Vielzahl namenhafter Auftraggeber Bauleistungen, die sie über die Zweigniederlassung in Deutschland ausführte. Hierfür setzte sie eigene türkische Arbeitnehmer ein, die dafür unter Einhaltung aller Formalien (VISA, Werkvertragsverfahren, Kontingente etc.) nach Deutschland entsendet wurden.

Nachdem die Agentur für Arbeit zunächst zu niedrige Lohnzahlungen an die entsendeten Arbeitnehmer vermutete, durchsuchte das Hauptzollamt die Niederlassung in Deutschland.

Der anschließende Vorwurf las sich für die Leiter der deutschen Niederlassung wie ein Krimi:

- Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen,

- Lohnwucher wegen zu geringer Lohnzahlungen,

- Zu geringe Löhne gemeldet und damit Lohnsteuer hinterzogen,

Betrug gegenüber der SOKA-Bau, wegen zu geringer Lohnmeldungen,

- Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft,

- Bandenmäßiges Einschleusen von Ausländern wg. Vortäuschen von regelkonformen Arbeitsbedingungen (Mindestlohn etc.) zum Zwecke der Erwirkung von VISA.

 

Die Mandanten waren sogar observiert und die Geo-Daten der Handystandorte erfasst worden.

Das Finanzamt konnte allerdings recht schnell mitteilen, dass keine Differenzen bei Lohnsteuer bestehen.

Auch alle anderen Vorwürfe mussten nach und nach fallen gelassen werden - mit Ausnahme des Hauptvorwurfs: Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen in Millionenhöhe!

Dafür hatte das Hauptzollamt die Daten der türkischen Rentenversicherung für alle entsendeten Arbeitnehmer - mehr als 400 Arbeitnehmer in mehr als 1000 Entsende-Fällen - ausgewertet. Alle beteiligten Behörden bis hin zum Landgericht, welches die Anklage zuließ, vertraten die Ansicht, die gesetzlichen Voraussetzungen der Entsendung seien nicht eingehalten worden.

Die Rechtsprechung verlangt dafür neben der Einhaltung der Formalien insbesondere, dass die Arbeitnehmer im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses aus dem Ausland nach Deutschland entsendet werden. Der Zweck darf daher nicht allein darin liegen, nur für den Auftrag in Deutschland eingestellt zu werden. Gefordert wird günstigstenfalls sowohl ein vor und auch nach der Entsendung im Ausland praktiziertes Arbeitsverhältnis.

Dies sahen die Strafverfolgungsbehörden nun nach Auswertung als widerlegt an, da sich aus den Eintragungen in den türkischen Sozialversicherungskonten der Arbeitnehmer die Betriebsnummer der Baugesellschaft nur für den Zeitraum der Entsendung ergab.

Ein harscher Ermittlungsfehler - wie sich später herausstelle:

Das Hauptzollamt ging nach deutschem Verständnis davon aus, dass auch in der Türkei einem Unternehmen nur eine einzige Betriebsnummer zugeordnet wird. Dies trifft jedoch nicht zu. Einem Bau-Betrieb wird in der Türkei für jedes Bauvorhaben eine neue Betriebsnummer zugewiesen, worunter die Arbeitnehmer auch gemeldet wurden.   

Das Verfahren wurde unter Zustimmung aller Beteiligten gegen eine Geldauflage eingestellt.