Diskriminierung oder kein Anspruch auf Bevorzugung – Müssen Schwerbehinderte froh sein, überhaupt ausgebildet zu werden?

Arbeit Betrieb
16.01.2014753 Mal gelesen
Das Arbeitsgericht Gießen hat mit Urteil vom 08.08.20213 über eine Klage entschieden, mit der eine 20-jährige schwerbehinderte Auszubildende die Übernahme in ein Arbeitsverhältnis klageweise geltend machte. Hierbei berief sich die Auszubildende darauf, dass sie als Kauffrau für Bürokommunikation die erforderliche Eignung mitbringe, da sie ihre Lehre auch erfolgreich mit der Note „gut“ abgeschlossen habe und deshalb nach den einschlägigen Tarifvorschriften (hier: TVAöD-AT) und den Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (§ 16 i.V.m. § 15 AGG) zu übernehmen sei.

Das Arbeitsgericht Gießen hat entschieden, dass die Entscheidung des Arbeitgebers, die Klägerin nicht zu übernehmen, gerichtlich nicht zu beanstanden sei. Das Gericht hat es als freie unternehmerische Festlegung angesehen, dass der Arbeitgeber bei der Stellenbesetzung - entgegen der Stellenausschreibung - auf eine Qualifikation als Industriekauffrau bzw. -mann Wert legte und dass die Klägerin deswegen die Voraussetzungen für die Übernahme nicht mitgebracht habe. Zwar hatte die Klägerin reklamiert, dass eine solche Begründung erst im nachhinein gegeben worden ist, vorgeschoben wurde und jedenfalls aus der Stellenausschreibung nicht ersichtlich war. Nach Auffassung des Gerichts sei jedoch nicht ersichtlich, dass die unternehmerische Festlegung auf eine abweichende Qualifikation willkürlich im Nachhinein lediglich vorgeschoben worden ist. Aus diesem Grund fehlt es nach der Entscheidung des Gerichts auch an Anknüpfungspunkten für eine sog. Indiztatsache, die für eine Diskriminierung sprechen könnte.

Die schwerbehinderte Klägerin hatte ferner angeführt, dass sich eine Benachteiligung nach den o.g. Vorschriften auch aus der Bemerkung des Arbeitgebers ergibt, dass sie doch froh sein solle, überhaupt ausgebildet worden zu sein. Diesbezüglich führte das Gericht jedoch aus, dass es sich nicht um eine Abwertung der Klägerin als Person gehandelt habe, sondern dass dies im Hinblick darauf zu verstehen sei, dass im Übrigen von der Beklagten angeblich nur Industriekaufleute ausgebildet würden. Das Gericht wies darauf hin, dass sich aus den §§ 15, 7 und 1 AGG jedenfalls kein Anspruch auf Bevorzugung wegen des Vorliegens einer Schwerbehinderung ergebe, umgekehrt aber für eine Benachteiligung der Klägerin nichts ersichtlich sei. Insbesondere stelle weder eine Veränderung des Anforderungsprofils für eine Stelle für sich genommen ein Indiz für eine Diskriminierung dar, noch wenn diese mit der inkriminierten Äußerung zusammentreffe, man solle doch froh sein, überhaupt ausgebildet worden zu sein.Das Urteil ist nicht rechtskräftig, Berufung wird beim Hessischen Landesarbeitsgericht (17 Sa 1095/13) geführt.

Diese Entscheidung zeigt, dass die Hürden für die Darlegung geeigneter Anknüpfungstatsachen für eine Diskriminierung im arbeitsgerichtlichen Verfahren nur als außerordentlich hoch bezeichnet werden können. Wenn schon beide Sachverhalte für sich genommen nicht ausreichen sollen, zumindest eine Anknüpfungstatsache für eine Diskriminierung anzunehmen, wäre zu erwarten gewesen, dass vom Arbeitsgericht zumindest in der Zusammenschau beider Punkte ein ausreichender Anknüpfungspunkt für eine Diskriminierung gesehen wird. Diese Frage ist für schwerbehinderte Arbeitnehmer deshalb so wichtig, weil die im arbeitsgerichtlichen Verfahren wichtige Frage der Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Diskriminierung hier bei der Klägerin blieb. Im konkreten Fall stellt sich insoweit in der Tat die Frage, was die Klägerin noch hätte dartun müssen, um zu einer Anknüpfungstatsache zu gelangen, die zum Wechsel der Darlegungs- und Beweislast und damit zu einer wesentlich günstigeren Prozesssituation geführt hätte. In diesem Fall hätte der beklagte Arbeitgeber den Nachweis führen müssen, dass keine diskriminierende Handlung vorliegt.

Dieses Urteil zeigt einmal mehr, wie schwierig es in der Praxis ist, Ansprüche wegen Diskriminierung vor Gericht durchzusetzen und den Nachweis für eine Anknüpfungstatsache i.S.d. AGG zu führen, um hierdurch einen Wechsel der Darlegungs- und Beweislast zu erreichen, wie es der Gesetzgeber als ausdrückliche Erleichterung für Schwerbehinderte und anders Diskriminierte eigentlich vorgesehen hat.

Sofern Sie sich ebenfalls arbeitsrechtlich diskriminiert fühlen, stehen wir Ihnen für eine Prüfung Ihrer Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche jederzeit gern zur Verfügung.

Erich Hünlein Rechtsanwalt - Fachanwalt für Arbeitsrecht
hünlein rechtsanwälte - Eschenheimer Anlage 1 - 60316 Frankfurt a.M.
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